Familie Clavin war schon selbst oft unterwegs, davon auch mehrfach mit Schulkindern. Besonders interessant ist, dass Mama und Lehrerin Annette inzwischen ca. 250 Familien auf dem Weg zur Schulbefreiung beratend zur Seite gestanden hat. Und daher einen sehr guten Überblick hat, wo die Tücken liegen. Was gerade für längere Weltreisen wichtig sein kann. Wir haben ihr 10 Fragen zur Schulbefreiung gestellt.
10 Fragen an die Expertin für Schulbefreiung Annette Clavin
Liebe Annette, vielleicht magst Du zuerst kurz erzählen, wie häufig Ihr Eure Kinder aus der Schule nehmen musstet?
Amelie wurde 5 Monate in der 4. Klasse und 5 Monate in der 6. Klasse befreit (Grundschule geht in Berlin bis zur 6. Klasse).
Wo habt Ihr zu diesem Zeitpunkt gelebt?
Wir leben in Berlin.
Wie seid Ihr das angegangen?
Bei der ersten Reise: Erstmal bei den Lehrern vorsprechen, dann mit deren Wohlwollen und Rückendeckung zur Schulleitung.
Bei der zweiten Reise war es schwieriger.. Die Schulleitung wollte eine erneute Reise nicht genehmigen und sich auch auf kein weiteres Gespräch mit uns einlassen. Nach einem langen Brief unsererseits an die Direktorin, gab es dann doch einen Termin, in dem wir uns auf eine günstige Reisezeit einigen konnten. Allerdings nur nach Vergabe der relevanten Noten für die weiterführende Schule.
Gibt es Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern und wenn ja, worin bestehen die hauptsächlich?
Obwohl das Bildungswesen in Deutschland Ländersache ist, gibt es flächendeckend das Gesetz zur „Schulpflicht“. Dabei sind Schuleintrittsalter, Schullänge, Lehrplan und vieles mehr je Bundesland unterschiedlich. Schulpflichtbefreiungen werden überall in begrenzten Fällen ausgesprochen.
Ich gehe nicht weiter in die Tiefe, denn nach Gesetzeslage gibt es für Langzeitreisen nirgendwo eine gesetzliche Lösung. Schlüsselstelle ist die Schulleitung in Persona oder das Schulamt.
Wo ist eine Schulbefreiung besonders leicht, wo besonders schwierig?
Nach meinen Erfahrungen kann ich kein Bundesland benennen, in dem es besonders leicht ist, eine solche zu bekommen. Und ich habe mittlerweile ca. 250 Schulbefreiungen begleitet. Schwieriger ist es allerdings tatsächlich in Bayern. Das einzige Bundesland, in dem ich zwei Fälle kenne, die partout keine Befreiung erreichen konnten.
Wer es leichter hat
Gibt es Personengruppen, für die aus Deiner Erfahrung eine Schulbefreiung für ihre Kinder leichter zu erhalten ist?
Man könnte vielleicht denken, dass Lehrer-Eltern es einfacher haben, für ihre Kinder eine Schulbefreiung zu bekommen. Dem ist nicht so.
Von Vorteil ist natürlich, wenn die Eltern im Ausland arbeiten werden. Beispielsweise für Fotografen, Journalisten etc. die länger unterwegs sind (am besten sogar beide Elternteile) ist eine Trennung von den Kindern natürlich unzumutbar. Kinder gehören schließlich zu ihren Eltern. Und werden die Kinder vor Ort in einer Schule angemeldet, kommen die Eltern ja der Schulpflicht nach. Dann sind alle zufrieden.
Welche Gründe kann man angeben, wenn man eine Schulbefreiung erhalten möchte? Welche Argumente funktionieren besonders gut?
Das ist extrem individuell. Es gibt einfach Menschen – auch in der Position eines Schulleiters –, die dem Reisen nichts Positives zuschreiben können. Das ist eine ganz persönliche Geschichte. Aber natürlich muss man trotzdem erstmal argumentieren:
- Das Wichtigste: Gemeinsame Familienzeit! Das stärkt die Basis ungemein und fördert das Selbstvertrauen der Kinder. Ich habe das Gefühl aus all meinen Kontakten zu Reisefamilien, dass es da doch eine sehr, sehr geringe Trennungsrate gibt (in Deutschland scheitert immer noch jede 3. Ehe). Auch wenn ich mich mit meiner Annahme auf dünnes Eis begebe, da ich ja keine erhobenen Zahlen darüber habe.
- Reisen macht schlau! Auf Reisen lernen die Kinder die ganze Zeit. Ständig kommen durch das Erlebte neue Fragen auf und die Eltern haben Zeit, sie auch gleich zu beantworten. Gelebtes Wissen und zwar als Rundum-Paket! Rechnen, Schreiben, Fremdsprachen: nichts kommt im Reisealltag zu kurz. Zum Beispiel beim Umrechnen der fremden Währung, beim Tagebuch oder Mailschreiben. Englisch und viele andere Sprachen sind gegenwärtig. Und on top können die Eltern natürlich das gesamte verpasste Schulwissen anhand mitgenommener Materialien vermitteln.
- Was Reisen noch macht: Empathischer, toleranter, offener. Das immer wieder „sich neu Einstellen‘“ auf die anderen Umgebungen, Lebensformen, Religionen, Traditionen, Kulturen, Essen, Umgangsformen… Das macht flexibel und auch gelassener.
Schule unterwegs
Muss man die Kinder auf jeden Fall unterwegs beschulen, wenn man eine Schulbefreiung erhalten möchte oder erhalten hat?
Davon gehe ich aus. Auch im eigenen Interesse. Mir war schon wichtig, dass Amelie kein schulisches ‚Defizit‘ durch unsere Reisen hat. Auch hat sie ja nie ein Schuljahr deshalb wiederholt. Und letztendlich war es auch überhaupt kein Problem, den Schulstoff in den Reisealltag zu integrieren.
Es sei denn, man ist bewusst ‚Unschooler‘ bzw. ‚Freilerner‘. Aber das ist ja eine bewusste Entscheidung, die nicht unbedingt im Zusammenhang mit einem begrenzten Schulbefreiungsantrag steht.
Gibt es generelle Tipps dafür, zu welchen Zeitpunkten man eine Schulbefreiung eher bekommt und wann es schwieriger ist?
Wenn ein Schulleiter aufgeschlossen ist, den Wert einer solchen Reise erkannt hat und grundsätzlich dazu bereit ist einer Schulbefreiung zuzustimmen, ist der Zeitpunkt der Reise eigentlich egal. Sicher zu berücksichtigen sind in der Grundschule die beiden Halbjahre, in denen die relevanten Noten für die weiterführende Schule gesammelt werden.
Was passiert, wenn man ohne Schulbefreiung die Ferien verlängert?
Ein paar Tage vor den Ferien schon in den Urlaub zu starten oder ein paar Tage nach Schulstart erst zurückzukommen, kommt durchaus häufiger vor. Eine mehrmonatige Reise zu unternehmen ist eher die Ausnahme. Daher sind die Schulen bei der „kleinen Ferienverlängerung“ auch oft viel strenger. Teilweise verständlich, denn ‚normalen‘ Unterricht abzuhalten, wenn nur die Hälfte der Klasse da ist, ist sicherlich schwierig. Im schlimmsten Fall droht ein Bußgeldverfahren.
Als Langzeitreisender ist man da deutlich eine Ausnahme – was dann auch weniger stört.
Wenn die Schulbefreiung abgelehnt wird
Was kann man machen, wenn die Schulbefreiung endgültig abgelehnt wurde?
Dann kann man sich immer noch in Deutschland abmelden. Dadurch entfällt dann zwar das Kindergeld, aber ansonsten ist das ein kurzes, unkompliziertes Prozedere beim Bürgeramt.
Möchtest Du Eltern noch etwas mit auf den Weg geben, die sich mit dem Gedanken tragen, ihre Kinder für eine längere Reise aus der Schule zu nehmen?
Machen! Geht auf Reisen und lasst Euch Euren Traum nicht durch ein unflexibles Gesetz zerstören! Sagt rechtzeitig Bescheid. Seid offen und ehrlich. Sprecht zuerst mit den Lehrern und dann mit der Schulleitung. Und ganz wichtig: Eure Haltung! Niemals fragen, ob Ihr dürft, sondern ankündigen, dass Ihr das machen werdet!
Wir danken Annette Clavin für die Zeit, die sie sich für unsere Fragen genommen hat.
Außerdem bietet sie ihre Expertise inzwischen auch ganz offiziell als Beratung an. Hier könnt ihr einen Termin bei ihr buchen und euch viel Zeit bei der Recherche sparen: www.schulbefreiung.de
Hier geht’s zum Blog der Familie Calvin, die ebenfalls Infos zur Schulbefreiung enthält.